Ansicht Kreisel
Ansicht Kreisel
Referenzen & Baustruktur
Referenzen & Baustruktur
Situation
Situation
Wohngeschosse
Wohngeschosse
Nordwestfassade
Nordwestfassade
Südostfassade
Südostfassade
Detail Fassade
Detail Fassade
Visualisierung Innenraum
Visualisierung Innenraum

Traditionell, aber nicht historisierend

Ein Bewusstsein für die Entwicklung der gewachsenen Siedlungsstruktur liegt dem Entwurf zugrunde – durch kleinbäuerliche Obstbaumlandschaften, die Industrie an der Emme und ihren Arbeiterhäusern am Hügel bis hin zu den unterschiedlichsten Wohnmodellen des späten 20. Jahrhunderts wurde der Siedlungsraum in Emmen und Emmenbrücke definiert. Das Projekt findet genau dort Inspiration - aus dem am Ort Vorgefundenen und dessen Bautradition. Identitätsstiftende Elemente aus der lokalen Baukultur werden weitergedacht, ohne zu historisieren oder sich an Heimatgefühlen anzubiedern. Nördlich des Bauperimeters prägen die stattlichen Wohnhäuser der Viscose-Arbeiter noch heute das Landschaftsbild. Als Solitärbauten ruhen sie in den Gärten und verleihen dem Quartier durch ihre Präsenz einen ganz eigenen Charakter. Sie stehen dem Entwurfsprojekt Pate in ihrer soliden Einfachheit, ihrer Ausdruckskraft als Solitärbauten und ihrer Zeitlosigkeit. In verschiedenen Momenten referiert der Entwurf auf den Bestand vergangener Zeiten – und kann dadurch trotz zeitgenössischer Ausführung und Architektursprache lokal verortet und wiedererkannt werden.

Selbstbewusst, aber nicht dominant

Entlang der Gerliswilstrasse ist kein zusammenhängendes ortsbauliches Konzept erkennbar. Unmittelbar beim Bauperimeter säumen kürzlich fertiggestellte Langbauten die Strasse, vereinzelt sind historische Bestände erhalten, weitere Bauten reihen sich in einer nicht fassbaren Diversität entlang der Strasse. Unterschiedliche ortsbauliche Haltungen, dörfliche und städtische Massstäbe, Infrastrukturen und Grünräume treffen aufeinander. Auf der Suche nach der adäquaten architektonischen Ausdrucksweise will der Entwurf in diesem heterogenen Kontext auf verschiedenen Ebenen verbindend reagieren und sich trotzdem selbstbewusst positionieren. In seiner Grunddisposition - der übergeordnete Figur eines Turms, umfasst von einer abgestuften Raumschicht – reagiert der Baukörper auf die unterschiedlichen städtebaulichen Einflüsse. Durch diese klar ersichtliche Ausformulierung wird das grosse Volumen gebrochen, ein eleganter siebengeschossiger Turm tritt zum Kreisel hin in Erscheinung während sich das Volumen nach südost und südwest hin etwas absenkt. Mit dieser Formensprache erhält das Gebäude eine selbstbewusste Präsenz, welche dem Kreiselfreiraum sowie den gegenüberliegenden grossen Bauvolumen standhalten kann. Durch seine Setzung kann das Haus als Kopfbau des Migros-Ensembles gelesen werden, bleibt aber trotzdem bis zum Boden ein Solitär. Die vertikale Fassadengliederung von Sockel und Oberbau mit dem formal ausgestalteten Piano nobile erinnert an Bürgerhäuser aus der Gründerzeit – was dem Gebäude die nötige Repräsentation zum stark frequentierten Strassenraum verleiht. In seiner Körnung und der Ausformulierung des Zeltdaches referiert der Baukörper an die Punktbauten der Wohnquartiere während sich das Öffnungsverhalten in der Fassade stärker an die Gewerbebauten der 1920er und 1930er Jahre anlehnt. Der Entwurf ruht in seiner formalen Klarheit, schafft es aber trotzdem, in dem heterogenen Kontext verschiedene Beziehungen zur Umgebung herzustellen – und wird damit der Bedeutung des Ortes als Nahtstelle zwischen verschiedenen Siedlungsräumen gerecht.

Umspült, und doch verankert

Die Eigenständigkeit des Baukörpers zeigt sich auch im quadratischen Grundriss. Es gibt keine klare Ausrichtung, keine bevorzugte Seite - was der von Infrastruktur umspülten Inselsituation zwischen Gerliswilstrasse, Migros und Kreisel entspricht. Durch die präzise Positionierung des kompakten Gebäudekörpers am südöstlichen Parzellenrand werden zwischen dem Gebäude und den Infrastrukturen entlang des Bauperimeters unterschiedliche Freiräume aufgespannt. Im Norden entsteht eine Platzsituation vor dem Bankeingang, der mit dem Strassenübergang eine direkte Verbindung zu den anderen kommerziellen Nutzungen an der Kreiselflanke herstellt, während die Adressbildung der Wohnungen zur Strassenseite hin der ortstypischen Gebäudeerschliessung über die Gerliswilstrasse Respekt zollen kann. Im Südosten wird der Strassenspickel durch die parallel zur Migros gesetzte Südostfassade klar gefasst und zusammen mit dem bestehenden Veloweg entsteht ein grosszügiger Strassenraum. Die direkte Fussgängerverbindung sowie der bestehende Radweg über die Parzelle 159 werden durch das Projekt nicht tangiert und bleiben erhalten. Ein Versetzen der Strassenquerung in Richtung Kreisel ist mit dem Entwurf denkbar und könnte eine direkte Verbindung zum Eingang Wohnen herstellen. Die Erschliessung der Einstellhalle mit Zu- und Wegfahrten sowie die Kurzzeitparkplätze werden am südwestlichen Parzellenrand kompakt gebündelt. Der Autolift ins 2. Untergeschoss erhält eine pavillonähnliche Überdachung und ist vom Hauptgebäude freigestellt – in Anlehnung an die Garagengebäude und Carports der Umgebung. Der dadurch geschaffene Raum zwischen Haupthaus und Nebengebäude dient den Bankangestellten als Aufenthaltsbereich im Freien und wird durch die Setzung eines Baumes noch stärker gefasst.

Rational, mit räumlicher Vielfalt

Raum- und Tragstruktur bilden in dem Entwurf eine Einheit, die sich vom Unter- bis ins Dachgeschoss abbildet. Die Kombination aus Kern, tragender Mittelschicht und tragender Fassade findet sich in jedem Geschoss wieder und führt zu einer strukturellen Klarheit ohne an räumlicher Vielfalt einzubüssen. Die Lasten der Aussenwände der «Turmgeschosse» werden in den unteren Wohn- Geschossen über die tragende Mittelschicht in die bis auf ein Stützenraster aufgelösten Bankgeschosse abgeleitet. Die Tragstruktur definiert damit die räumliche Organisation der Nutzungen – von der Zimmer- und Loggia-Schicht über die gebündelten Nasszellen im Kern bis zu den Grossraumbüros der Bankgeschosse. Der Grundriss basiert auf einer Grundstruktur, die in ihrer Einfachheit und Klarheit an die Grundrisse der Arbeiterhäuser erinnert. Gleichzeitig wird mit Elementen wie dem Entrée, den Vorräumen zu den Privaträumen, der «Wohnsalons» sowie der sorgfältigen Materialisierung an ein bürgerliches Wohnen referiert. Diese Analogie wird zusätzlich unterstützt durch die grosszügigen Raumhöhen von 2.60-3.00m, welche auch die Raumproportionen positiv beeinflusst. Die Grundstruktur bleibt in allen Geschossen und Wohnungsgrössen ersichtlich. Ist der Baukörper in den Ebenen 2-4 inklusive Zimmer- und Loggiaschicht ausgebildet, reduziert sich das Gebäudevolumen ab der Ebene 5 auf den Turm. Der abgestufte Gebäudeteil schafft Platz für grosszügige Terrassen, welche auf der lärmabgewandten Seite als Dachgärten genutzt werden können. Der Kern mit Haustechnik, Nebenräumen und Nasszellen bildet in allen Geschossen die innere Tragstruktur aus, löst sich räumlich je nach Nutzen bis auf Stützen auf oder reduziert sich in den Turmgeschossen zugunsten von mehr Wohnraum.

Einfach und innovativ

KISmur – ein Fassadensystem, das dem Anspruch des Entwurfs an Einfachheit und Systemklarheit auch auf der Ebene der Konstruktion und Materialisierung gerecht wird. Zwei Backsteinschalen werden miteinander kombiniert – eine innere, 15cm starke Swiss-Modul- Tragschale übernimmt die Funktion des Tragens während die äussere, 36.5cm dicke Imbrex-Z7-Schale die Dämmleistung erbringt. Werden die zwei Schichten miteinander verbunden, dient die Dämmschale zusätzlich der Abtragung von Schubkräften im Erdbebenfall. Dieses vollständig mineralische Fassadensystem zeichnet sich durch Langlebigkeit und Widerstandsfähigkeit aus und hat überragende Schallschutzwerte. Auf der ökologischen Ebene betrachtet überzeugt das System in Bezug auf die Lebenszykluskosten, die tiefen Werte des grauen Energieverbrauchs und der CO2-Emissionen sowie dem einfachen Rückbau ohne Sondermüll. Die Diffusionsoffenheit des Grossblockstein wirkt sich positiv auf das Wohnklima im Innern aus. Gute Feuchtigkeitsregulierung beugt der Schimmelpilzbildung vor und die grosse Speichermasse bildet im Sommer wie im Winter guter Wärmeschutz resp. Wärmespeicher. Das Gebäude mural zu bauen und nicht nur so aussehen zu lassen, hat mit Baukultur zu tun. Der steinerne Ausdruck, die natürlichen und wertigen Materialien wirken zeitlos, verankern den Baukörper am Ort und stärken damit lokale Bautraditionen durch eine zeitgemässe Transformation.

Bauprojekt am Kanzlei-Kreisel, Emmenbrücke